Burg hatte schon 1474 einen Stadtmusikus
von Gerhard Mittendorf
… „Wir Bürgermeister und Rathmanne der Stadt Burgk urkunden und bekennen hiermit für uns und unsere Nachkommen im Regiment, daß wir Johann Georg Waltzen von Schweinfurt bürtig zum Kunstpfeifer und Instrumental-Musicanten bey dieser Stadt bestellet und angenommen haben.“ Damit hatte man amtlich eben diesen Waltz, der vermutlich im Gefolge der Pfälzer Kolonisten mit an den Ihlestrand gekommen war, in den Stadtdienst aufgenommen, um den Burgern den nötigen Kunstsinn beibringen zu lassen. Ein langes Schreiben mit dem großen Stadtsiegel und der Unterschrift vom Bürgermeister Rephuhn versehen.
Wenn nun der Musikus der Stadt „trau, hold und gewärtig sey, derer Ehre und Nutzen zu fördern bereit sey“, solle ihm wöchentlich 12 Groschen und 12 Scheffel Roggen jährlich an Gehalt zustehen. Verlockend war noch eine mietfreie Wohnung, aber – die befand sich ganz oben auf dem Turm der Oberkirche. Waltz sollte nämlich neben seiner musikalischen Tätigkeit, die ihn kaum auslastete, noch die Stelle des Turmwächters mit all den dazu gehörenden Pflichten übernehmen, die Turmuhr aufziehen und stellen, auf eventuelles Feuer achten und morgens und nachmittags „abblasen“.
In der zugigen Wohnung auf dem Turm mag es den Musikus nicht allzu lange gehalten haben. Nachdem er eine Familie gegründet hatte, konnte Waltz, vermutlich von der Mitgift seiner Frau, das Haus Brüderstraße 48 erwerben. Das Haus ist vor einigen Jahren abgerissen, es war über die Jahrhunderte von Musikern bewohnt, wie die Häuserliste und auch die Adreßbücher zeigen. Der Tonkünstler hatte nun auf den Türmerdienst verzichtet und damit auch auf das Gehalt dafür, hatte aber seine verordnete Beschäftigung mit der Musikbegleitung an den Sonn- und Festtagen in den Stadtkirchen, die Musik von den Türmen und vom Rathausbalkon, diese zweimal in der Woche behalten. Daneben wurde ihm mit seinen Gehilfen die musikalische Aufwartung bei Hochzeiten und anderen Gelagen, wie die Quartalsfeiern der Handwerkergilden und anderen Feiern gestattet. Immerhin eine stetige Einnahmequelle.
Als Johann Georg Waltz 1735 verstarb, erbat sein Sohn Samuel Jacob vom Rat die Anstellung zum Stadtmusikus. Nach „ziemlich gut“ bestandenem Probespiel erhielt der junge Mann den begehrten Posten. Große Sprünge waren finanziell mit dieser Anstellung wohl kaum zu machen, da inzwischen dem gelernten Kunstpfeifer und Musikinstrumentalisten von verschiedener Seite Konkurrenz erwuchs. Sogar die Magdeburger Regierung mußte eingeschaltet werden, um dem städtischen Musikanten das Privileg der Hochzeitsunterhaltung und der Tanzmusik zu sichern.
Ehelichten Soldaten der hiesigen Garnison Bürgertöchter, lag es nahe, daß bei der Feier die Hornisten des Regiments aufspielten. Als Waltz auf Anraten des Bürgermeisters deswegen beim Regimentskommandeur Generalmajor von Derschau vorstellig wurde, erwiderte dieser, „der Magistrat habe ihm gar nichts zu befehlen, man möge ihn deswegen ungeschoren lassen“, drohte mit dem Stock und warf den Bittsteller zur Tür hinaus.
Auch der älteste Sohn Johann Christoph, der nach dem Tode seines Vaters den Musikantendienst antreten konnte, war in dieser Hinsicht in Burg nicht auf Rosen gebettet, hatte noch stärker mit der Konkurrenz der sogenannten Pfuscher und Bierfiedler zu kämpfen. Schließlich mußte er zur Kirchenmusik und zum Turmblasen Gehilfen anstellen und entlohnen, brauchte also neben seinem Gehalt dringend den Verdienst von den Aufträgen der Bürgerschaft. Daß es bei den Auseinandersetzungen ziemlich hart zuging und der Stadtmusikus, wenn es um seine Rechte ging, nicht gerade zimperlich war, zeigt eine Art von Selbstjustiz. Im Gasthof „Zum Schulterblatt“ der Wittwe Schinne spielte 1770 abends gerade eine fremde Bande …, die aber nicht den von der Stadt geforderten Musikzettel gelöst hatten.
Waltz stieg mit seinen Gehilfen, da ihm der Zutritt verwehrt wurde, kurzerhand durchs Fenster in das Lokal und zerschlug die Instrumente der Schwarzarbeiter. Auf seine Vorstellung beim Magistrat mit der Bitte um Verbot der fremden Musikanten, die er Zinnflicker und Sternseher nannte, erhielt er nur ausweichende Antworten. Der Musikus machte sich die Mühe, dem Bürgermeister eine Auflistung von 30 Fällen in den letzten drei Jahren der in Burg von fremden abgehaltenen Pfuschermusik zu übergeben. Darin konnte nachgewiesen werden, daß von den Umherziehenden, die ja keine Abgaben zahlen brauchten, viele bei den Ratsherren, auf großen Hochzeiten, bei der hiesigen Kaufmannsgilde, den Tuchknappen sowie an den Quartalen der Handwerker gegen niedriges Entgelt aufgespielt wurde.
Einige Jahre danach kam neuer Ärger auf die Stadtkapelle zu. Aus Schönebeck war ein Tischlergeselle, der eine große Harfe mit sich führte, nach Burg gezogen. Dieser Buckau genannte gründete bald eine Band bestehend aus einem Färber, einem Schüler und einem Juden. Ohne je einen Musikzettel vom Magistrat zu lösen, spielte die Gruppe an jedem Sonntag abend im Ratskeller oder Schützenhaus, wo viele junge Leute zum Tanz zusammenkamen. 1783 mußte Waltz bekennen, daß dieser Buckau mit seiner Tanzmusik mehr verdiente, als er selbst auf einer mittelmäßigen Hochzeit. In Schönebeck, heißt es in dem Schreiben, hätte der Tischler es ähnlich arg getrieben, weshalb er von dem dortigen Magistrat des Ortes verwiesen worden sei.
Aber die Burger Obrigkeit? Ratsherr und Stadtkämmerer Behrendt selbst ließ den Harfenspieler bei jeder passenden Gelegenheit in seiem Haus musizieren, ließ sogar seinen Sohn bei dieser Person Harfenunterricht nehmen. Dieser hatte dadurch nun Oberwasser, beschwerte sich über Waltz, von dem er höchste Bedrückung und Nachstellung erfährt. Nicht einmal auf der Straße sei er sich sicher, da ihm zugetragen worden sei, daß der Stadtmusikus seine Harfe zerschlagen wolle. Deshalb erbittet er Konzession auf seine Musik. Aber dazu kommt es nicht, kurz darauf ist der Beschwerdeführer mit Hinterlassenschaft seiner Schulden aus Burg verschwunden.
Das ist nur ein Teil der Schwierigkeiten und Querelen, mit der unser Waltz zu kämpfen hatte.
In einem Schreiben an Oberbürgermeister Hundrich schildert der Stadtmusikus im Jahre 1790 seine bedrückende Situation. Die fremden Pfuscher machen ihm das Leben schwer, nehmen ihm das bißchen Brot und seine letzten Ersparnisse. Dabei muß er als Bürger die verordneten Abgaben leisten, für den Stadt- und Kirchendienst vier Leute halten und schließlich seine Familie ernähren. Seit vor fast hundert Jahren sein Großvater nach Burg kam, hat seine Familie treu den Musikantendienst in der Stadt versehen. Und jetzt, diese Undankbarkeit, haben die jungen Burger auf einem Ball schlecht über ihn geredet, er würde nicht flott und lange genug beim Tanz spielen.
Vom König Friedrich Wilhelm II., an den sich der so Betroffene in einem Bittschreiben gewandt hatte, kam verständnisvoll über die Magdeburger Kammer an den Magistrat zu Burg der Befehl, den privilegierten Stadtmusikus „kräftigst zu schützen“. Johann Christoph Waltz sollte die königliche Gunst nicht mehr lange genießen. Bald darauf erlag er einer längeren Krankheit.